Vom Dienstag, den 21. Oktober, bis Montag, den 24. November 2025, ist die Wanderausstellung BLACKBOX HEIMERZIEHUNG der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof (GJWH) Torgau in Kooperation mit dem Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen in Chemnitz zu sehen.
Die Ausstellung setzt einen wichtigen Impuls für die lokale Auseinandersetzung mit der repressiven Heimerziehung in der DDR.
Zeitraum: 21. Oktober bis 24. November 2025
Öffnungszeiten: Mo-Fr: 09:00 bis 16:00 Uhr
Sonderöffnungen an Samstagen: 08:11 und 22.11.2025, jeweils 09:00 bis 15:00 Uhr.
Ausstellungsort: Berufliches Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen, An der Markthalle 10, 09111 Chemnitz
Der Eintritt ist frei.
Das Durchgangsheim in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz)
Bereits 1951 existiert in Chemnitz ein Aufnahmeheim für Kinder von drei bis vierzehn Jahren. Im Jahr 1956 wird ein Durchgangsheim auf dem Gelände eines Jugendwohnheims in der Bernsdorfer Straße erwähnt. Es hat etwa 17 Plätze für männliche Jugendliche, die in der Gärtnerei und Landwirtschaft der Einrichtung arbeiten.
Im Jahr 1962 erscheint das Durchgangsheim Karl-Marx-Stadt dann mit der Anschrift Kaßbergstraße 32 und hat zunächst 45 Plätze. Es nimmt Minderjährige ab drei Jahren auf, bis über ihren weiteren Lebensweg entschieden wird. Bis 1965 reduziert sich die Anzahl der Plätze auf 25 im Jahr 1963. Im Jahr 1976 sind insgesamt 911 Aufnahmen verzeichnet, wobei die meisten Kinder nur wenige Tage in der Einrichtung bleiben. Von hier aus werden sie entweder in ihr Elternhaus (301), ihr vorheriges Heim (276) oder in ein anderes Heim (309) gebracht. 99 Kinder müssen auf einen Heimplatz warten, teilweise bis zu drei Monate oder länger. Das verstößt auch gegen damalige Bestimmungen.
Das Heim beschäftigt 14 pädagogische und neun technische Mitarbeitende. Schulunterricht erfolgt jahrgangsübergreifend und lediglich stundenweise, was zu Lernrückständen führt. Freizeitangebote sind kaum vorhanden.
In der DDR ist Kinderarbeit bereits seit 1949 verboten, wird aber in den Spezialheimen der Jugendhilfe dennoch praktiziert. Die Disziplinierung durch Arbeit spielt als Methode eine zentrale Rolle. Ein Betroffener, der im Alter von 13 Jahren in das Durchgangsheim Karl-Marx-Stadt eingewiesen wurde, erinnert sich an einen großen Werkraum. Dort musste er gemeinsam mit anderen Kindern etwa sechs Stunden täglich Kleinteile für die Motoren- und Automobilindustrie montieren. Diese Arbeit eignete sich besonders gut für Kinderhände. Es habe sich dabei um Normarbeit gehandelt. Die Norm durfte nicht unterschritten werden. Quelle
Wie alle Durchgangsheime verfügt auch das Durchgangsheim über eine Isolierzelle. Eine Betroffene, die 1969 dort war, erinnert sich an einen sehr kleinen, fensterlosen Raum, der nur mit einem Bett, einem Waschbecken und einem Eimer für die Notdurft ausgestattet war. Die Tür hatte demnach einen Spion. Das Essen wurde wie im Gefängnis durch eine Klappe gereicht.
Kurz vor der Auflösung der Durchgangsheime im Jahr 1986 verzeichnet die Einrichtung eine Aufnahme von jährlich etwa 800 Minderjährigen – nur Berlin (815) und Erfurt (750) hatten vergleichbare Zahlen. Nach der Schließung wird das Heim vermutlich als Außenstelle des Jugendwerkhofs Klaffenbach umgenutzt. Heute wird das Gebäude gewerblich genutzt.
Das Mädchenheim in Klaffenbach (1947-1948)
Im Jahr 1947 wird im Wasserschloss Klaffenbach (Neukirchen) bei Chemnitz ein Mädchenheim eröffnet. Das Heim dient zunächst dem Zweck, „die Mädel – vor allem während der Zeit der Sicherungskuren zur Verhütung der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten – aus dem übrigen Volksleben auszuschließen und sie während dieser Zeit an ein regelmäßiges Arbeitsleben zu gewöhnen.“ [Quelle] Stadtarchiv Chemnitz: A 0315 RdSt. bis 1990 Sign. 7940, S.5. In der Nachkriegszeit sind Geschlechtskrankheiten und ihre Eindämmung ein Politikum. Die Verbreitung der Krankheiten wird vor allem alleinstehenden Frauen und weiblichen Personen ohne festen Wohn- und Arbeitsplatz zugeschrieben. Im Mädchenheim Klaffenbach sind in dieser Zeit Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis über 21 Jahren untergebracht (zehn über 18 Jahre und zehn unter 18 Jahre). Ihnen werden vor allem Attribute wie „ sittlich gefährdet“, oder „arbeitsscheu“ zugeschrieben. In dieser Zeit hat das Heim den Charakter eines Arbeitshauses. Die Mädchen und Frauen verrichten körperlich schwere Arbeit in der Landwirtschaft und bewirtschaften die Gebäude der Anlage. Im Vordergrund steht ihre Arbeitsleistung. Für ihre Arbeit erhalten sie nicht einmal ein Taschengeld. Die Erträge fließen in den Erhalt der Einrichtung. Die damals verantwortliche Erzieherin im Heim kritisiert die einseitige Ausrichtung und den Charakter der Einrichtung als Arbeitshaus. Sie setzt sich dafür ein, die körperlich schwere Arbeit um Schulunterricht und gemeinsame Freizeitangebote zu erweitern. Für die Umsetzung ihrer Ansätze fehlt es im Heimalltag jedoch an allem – vor allem an Personal: Eine einzige Erzieherin muss sich werktags und an den Wochenenden rund um die Uhr um alle Abläufe im Heim kümmern. Angesichts eklatanter Mängel im Heim reicht die Erzieherin noch im selben Jahr die Kündigung ein. Keine zwei Jahre später erhält das Mädchenheim den Status eines Jugendwerkhofs. [Quelle] Stadtarchiv Chemnitz: A 0315 RdSt. bis 1990 Sign. 7940.Der Jugendwerkhof „Rosa Luxemburg“ in Klaffenbach (1949 bis 1990)
„Das war ein Wasserschloss mit erheblichen baulichen Mängeln, die Fenster waren vergittert, die Türen wurden verschlossen, es gab Arrestzellen. Es herrschte harter Drill, viel Gewalt, gab harte Strafen, alles wurde im Kollektiv gemacht. Ich machte hier den Teilfacharbeiter in einem Metallberuf bei einer Firma außerhalb. Ich bekam dafür eine kleine Summe auf dem Sparbuch bei der Entlassung.“
[Quelle] O-Ton Betroffene, Jugendwerkhof Klaffenbach von 1981-1983. Zitiert nach: Sack, Martin; Ebbinghaus, Ruth: Was hilft ehemaligen Heimkindern der DDR bei der Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung? In: Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR. Expertisen. Hrsg.: Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, Berlin März 2012, S. 334.Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 erhält das vormalige Mädchenheim im Wasserschloss Klaffenbach den Status eines landwirtschaftlichen Jugendwerkhofs. Zum Jugendwerkhof gehört eine etwa 100 Hektar große landwirtschaftliche Nutzfläche.
Im Jahr 1951 hat die Einrichtung 50 Plätze für Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren. Sie arbeiten in der Haus- und Landwirtschaft des Jugendwerkhofs. Die tägliche körperliche Arbeit ist schwer und beginnt früh morgens. Die Ausstattung der Einrichtung ist karg und die Verpflegung bleibt unterhalb der Norm. 1957 zählt Klaffenbach zu den Jugendwerkhöfen mit den meisten registrierten Fluchten.
Neben dem Heimleiter sind in der Einrichtung 1951 vier Erzieherinnen und ein Erzieher beschäftigt. Außerdem gibt Angestellte für die Hauswirtschaft sowie Mitarbeitende für den landwirtschaftlichen Betrieb. Die ärztliche Betreuung der Jugendlichen erfolgt außerhalb der Einrichtung.
Auf dem Gelände befindet sich eine eigene Schule. Schon bei der Einweisung weisen die Mädchen große Lernrückstände auf. Im Jugendwerkhof werden sie in erster Linie auf die Arbeit in der Landwirtschaft vorbereitet. Die Lehrkraft unterrichtet zwei Gruppen wöchentlich jeweils zwölf Stunden nach dem Lehrplan der landwirtschaftlichen Berufsschule. Wie in allen Jugendwerkhöfen der DDR können sich die Mädchen lediglich zur Teilfacharbeiterin qualifizieren. Dadurch sind die spätere Berufswahl und der weitere Werdegang erheblich eingeschränkt.
Im Jugendwerkhof sind die Jugendlichen in sieben Zimmergruppen eingeteilt. Ein straffer Tagesablauf und eine strenge Heimordnung, die größten Wert auf Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit legt, strukturieren den Alltag. Neben der täglichen Arbeit gibt es monatliche Reinigungsarbeiten, wie das Scheuern des Parkettbodens, das Reinigen der Fenster und das Scheuern des Wäschebodens. Außerdem fallen Näh- und Reparaturarbeiten an. Zusätzlich gibt es organisierte Freizeitangebote wie Chor, Laienspiel und Sport. Frei verfügbare Zeit ist nicht vorgesehen.
Das kulturelle Angebot ist am Parteiprogramm ausgerichtet. Gesellschaftliche Arbeit, Heimatverbundenheit und sportliche Leistung werden großgeschrieben. Es gibt eine Partei-Betriebsgruppe der SED, eine FDJ-Betriebsgruppe, eine DSF-Betriebsgruppe sowie eine Gewerkschaftsgruppe. Alle Gruppen nehmen an örtlichen Veranstaltungen teil. Hier werden die Mädchen aus dem Jugendwerkhof allerdings ausgegrenzt. Sie seien als „Erziehungsfälle” nicht mit „einwandfreien Jugendlichen” vergleichbar, was sich auch in der FDJ-Arbeit zeige.
Der Jugendwerkhof Klaffenbach erweitert im Laufe der Jahre beständig seine Kapazitäten. 1956 gibt es 66 Plätze, 1978 bereits 120 – nach wie vor ausschließlich für Mädchen.
Im Zuge der Technisierung der Landwirtschaft werden die Mädchen allerdings weniger in der Feldarbeit und zunehmend als Arbeitskräfte in umliegenden Betrieben gebraucht. Sie arbeiten in der Geflügelzucht, der Speisefettherstellung, Elektromontage oder Zerspanung in Neukirchen, Karl-Marx-Stadt oder Brand-Erbisdorf.
Die Beschulung findet eher behelfsmäßig im Jugendwerkhof statt. Ausgebildetes Lehrpersonal ist schwer zu finden. Stellen bleiben unbesetzt. Die Spezialheime haben keinen guten Ruf. Die abgeschiedene Lage und die langen Schichten machen die Heime als Arbeitsort unattraktiv.
In einer Eingabe aus dem Jahr 1973 wird von Klagen einiger Mädchen über die Zustände im Jugendwerkhof berichtet. Sie beschweren sich über Schläge und körperliche Misshandlungen durch das Erzieherpersonal, Gewalt untereinander sowie Arreststrafen in einer kalten Zelle. Der Ausgang der Beschwerde ist nicht bekannt. [Quelle] Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz: StA-C, 30413 Bezirkstag/RdB Karl-Marx-Stadt: Schreiben an Bezirk Karl-Marx-Stadt, Abteilung Volksbildung, Referat Jugendhilfe, 6.4.1973.
Vor dem Mauerfall werden deutlich weniger Jugendliche in den Jugendwerkhof Klaffenbach eingewiesen Im März 1990 wird der Jugendwerkhof schließlich aufgelöst.
Zum Zeitpunkt der Schließung des Jugendwerkhofes befindet sich das Schloss in einem desolaten Bauzustand. Private Schmalfilmaufnahmen aus dem Filmarchiv Chemnitz von 1994 vermitteln einen Eindruck davon. Es wird aufwändig saniert und ist seit 1995 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.