BLACKBOX HEIMERZIEHUNG in Gera

Das Jugendwohn- und Durchgangsheim „Ernst Thälmann“ in Gera
„Als ich 1978 ins kleine Durchgangsheim in Gera kam, war auch dies geschlossen, ein sehr kleines Gebäude. Alle Kinder waren dort in zwei Räumen untergebracht und standen unter ständiger Beobachtung durch Sehschlitze in der Tür. Es gab kein Tageslicht, nur Glasbausteine und da waren auch zwei Arrestzellen.“
1949 wird das Durchgangsheim Gera in einem alten Patrizierhaus in der Greizer Straße 23 eröffnet. Zuvor war das Haus ein Waisenhaus.
In den 1950er Jahren werden aufgegriffene Kinder und Jugendliche aus den Kreisen Jena, Stadtroda, Rudolstadt und Eisenberg in das Durchgangsheim gebracht, wenn die Behörden eine Gefährdung vermuten. In einigen Dokumenten wird das Heim als „Auffanglager Greizerstraße“ oder „Durchgangslager Gera“ bezeichnet.

Das Durchgangsheim in der Greizer Straße 23, Gebäude um 1980.
Der Zustand der Einrichtung ist zu dieser Zeit so desolat, dass gleich mehrere Stellen – die Sowjetische Kontrollkommission, die SED-Bezirksleitung und das Ministerium für Volksbildung – Verbesserungen fordern: defekte Türen und Fenster, unhygienische Waschräume, unzureichende Personalunterkünfte, Überbelegung; all diese Mängel sollen behoben werden. Trotz der hohen Auslastung ist in einem Teil des Gebäudes ein Lehrlingswohnheim geplant.
1953 investiert der Bezirk im Rahmen einer „Schandfleckaktion“ 20.000 DM in die Sanierung. Im Heim wird ein neuer „Kulturraum“ geschaffen. Zusätzliche Möbel, Gardinen und Tischdecken werden angeschafft, um die Räume wohnlicher zu gestalten. Einige Arbeiten übernehmen die Jugendwerkhöfe im Bezirk: Jugendliche aus dem JWH Bad Köstritz führen Maurerarbeiten aus, Bad Klosterlausnitz übernimmt Zimmererarbeiten, Hummelshain liefert neue Möbel.

Die Wohnsituation bleibt trotz aller Bemühungen problematisch. Deshalb wird das Heim 1961 auf Drängen der Leitung verlegt. Das Jugendwohn- und Durchgangsheim „Ernst-Thälmann“ zieht in das Gebäude einer ehemaligen Fabrikantenvilla in der Wilhelm-Pieck-Straße 138 um (heute Berliner Straße).

Die Villa wird zweigeteilt genutzt: Im Haupthaus werden „Waisen und pädagogisch vernachlässigte“ Jugendliche betreut; im Seitenflügel und der Remise befindet sich vermutlich das Durchgangsheim. Es dient offiziell der kurzzeitigen Unterbringung von „straffälligen, schwer erziehbaren, verwahrlosten und milieugeschädigten Kindern und Jugendlichen“. Die Fenster sind vergittert, die Räumlichkeiten beengt.
Die Abläufe in beiden Einrichtungen werden voneinander getrennt. In der Küche wird beispielsweise zweimal täglich gekocht: einmal für die „Schicht-Jugendlichen“ des Wohnheims und einmal für die Jugendlichen des Durchgangsheims. Das Personal arbeitet im Zwei- und Dreischichtsystem.
Es gibt keine durchgängigen Belegungszahlen für die Einrichtung, aber das Durchgangsheim hatte Mitte der 1960er Jahre etwa 30 Plätze. Im Jugendwohnheim lebten ständig über 70 Jugendliche, teilweise in großen Schlafsälen. Für die 1970er Jahre werden insgesamt 112 Plätze angegeben, 80 davon für das Jugendwohnheim und 32 für das Durchgangsheim. Jährlich durchlaufen 700 bis 800 Jugendliche die Einrichtung.
Auch nach dem Mauerfall wird die Villa als Heimeinrichtung genutzt. Die Belegung wird allerdings deutlich reduziert. Auch Fenstergitter im Nebenhaus werden entfernt. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten im Jahr 1998 leben nur noch 28 Jugendliche in der Einrichtung.
Träger des heutigen Jugendwohnheims in der Villa Berliner Straße 138 ist der Internationale Bund (IB), ein großer Dienstleister in der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit.