Zeitzeugen gesucht

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Zeitzeugen gesucht

Frank M.

„ich konnte mich nie daran gewöhnen irgendwo zu sein, wo andere über mich bestimmen“
„[die Mutter] hat uns vernachlässigt und dadurch sind wir nicht in die Schule gegangen“
Geboren 1971 in Sachsen-Anhalt. Er hat mehrere Geschwister. Nach der Scheidung wird die Mutter alkoholkrank.

Wegen ständiger Schulbummelei und Herumtreiberei ordnet das zuständige Referat Jugendhilfe 1983 die Heimerziehung an. Frank kommt in ein Kinderheim nach Bernburg. Dem Zwölfjährigen fällt es schwer, sich an die Regeln des Kinderheims zu gewöhnen. Zu oft entfernt er sich unerlaubt vom Gelände.

Auf Franks Freiheitsdrang antwortet die Jugendhilfe mit Verlegung. Für die nächsten drei Monate kommt er vorerst in ein geschlossenes Durchgangsheim nach Halle. Hier wartet der Junge auf einen Platz im Spezialkinderheim. Gitter nehmen ihm die Freiheit.

 

Mitte 1985 wird Frank in das Spezialkinderheim Calbe an der Saale eingewiesen. Keine Gitter und keine schweren Türen. Frank genießt Freizeit. Er besucht die Schule und beendet sie mit dem Abschluss der siebten Klasse.

Zeltausflüge und Gruppenfahrten bieten die nötige Abwechslung für den Vierzehnjährigen. Schöne Erinnerungen entstehen. Doch es sind die trostlosen Momente, die überwiegen. Der Heimalltag ist erdrückend.

„dann saß ich da im Bunker, das längste waren mal 18 Tage“

Im Sommer 1986 erfolgt die Entlassung zur Mutter. Frank beginnt eine berufliche Teilausbildung zum Maler. Da es während der Ausbildung schon bald zu Fehltagen kommt und sich auch die häuslichen Verhältnisse schnell wieder verschlechtern, wird er bereits Ende 1986 wieder nach Calbe an der Saale in das Spezialkinderheim eingewiesen.

Immer wieder flieht er aus dem Spezialkinderheim. Draußen schlägt er sich mit Diebstählen und Einbrüchen durch. Mal kommt er für ein paar Tage bei Freunden unter, mal übernachtet er auf der Straße. Alkohol wird zu seinem Begleiter. Berauscht amüsiert er sich mit seinen Freunden und vergisst für einen Moment seine Probleme. Dann wieder Handschellen. Zurück nach Calbe.

Bis 1989 wird Frank insgesamt dreimal in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen. Hier geht man anders mit den Jugendlichen um. In Torgau wird bedingungsloser Gehorsam von den Jungen und Mädchen gefordert.

„Jetzt geht es ab nach Torgau!“

„Ihr könnt mich umbringen. Ich will sowieso nicht mehr leben“…

Ziel ist es, den Willen der jungen Menschen brechen. Militärischer Drill ist an der Tagesordnung. Umgeben von unüberwindbaren Mauern werden die Jugendlichen auf dem Hof bis zur äußersten Erschöpfung getrieben.

Der Drang frei zu sein und die Mauern von Torgau hinter sich zu lassen, veranlasst Frank zu einem abscheulichen Vorhaben. Während seines dritten Aufenthalts im Frühsommer 1989 entschließen sich er und drei weitere Jugendliche aus Verzweiflung zu einem schockierenden Plan, der ihnen die Flucht aus Torgau ermöglichen soll.

„Ihr könnt mich umbringen. Ich will sowieso nicht mehr leben“ sagt ein fünfter Jugendlicher, der im Gruppenraum zufällig ein Gespräch von Frank und den anderen hört. Sie besprechen Fluchtmöglichkeiten. Er schlägt vor, die anderen sollten ihn töten und an das Fenstergitter hängen. Beim nächtlichen Kontrollblick durch den Türspion würde der Erzieher dann die Tür aufschließen und sie könnten ihn überwältigen, um an die Schlüssel zu kommen. Die vier Jugendlichen proben ihr Vorhaben, bis das Opfer bewusstlos wird. Vor der eigentlichen Umsetzung erfahren die Erzieher von dem Plan und Frank sowie die anderen Jugendlichen werden in die Untersuchungshaftanstalt Leipzig überführt.

Auch wenn der perfide Plan vereitelt werden konnte, so haben die Jugendlichen ihr Ziel doch erreicht. Torgau liegt nun endgültig hinter ihnen. Ein knappes Jahr später verurteilt ihn das Bezirksgericht Leipzig wegen Beihilfe zum gemeinschaftlich versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Da Berufung wegen „unrichtiger Anwendung des sachlichen Rechts und unrichtiger Entscheidung über die Strafzumessung“ eingelegt wird, beantragt der Generalbundesanwalt die Revision des Urteils. Frank wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Verfahren wird an das Bezirksgericht Leipzig zurückverwiesen und im Dezember 1992 endgültig eingestellt. Die Zustände im Gefängnis empfindet Frank angenehmer als im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.

Von 1990 bis 1998 lebt Frank von Aushilfstätigkeiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Lediglich als Traktorist in der Landwirtschaft ist er längere Zeit beschäftigt. Gleichzeitig führen kriminelle Kleindelikte zu zwei Verurteilungen auf Bewährung. 1999 wird ein drittes Vergehen mit Freiheitsentzug bestraft. Nach der Inhaftierung wird er im Dezember 2003 aus der Haft entlassen. Zu dieser Zeit nimmt er Kontakt zur Gedenkstätte auf, die inzwischen am historischen Ort des Geschlossenen Jugendwerkhofs eingerichtet wurde. Seine Biografie wird Teil der ersten Dauerausstellung. Heute besteht kein Kontakt.

„für mich war das schlimmer als im Knast“

Frank M. als Wehrdienstleistender zu Beginn der 1990er Jahre.

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